„Farbe ist das natürliche Medium für Jens Jensen. Seine Liebe zu Farben, sein meisterhafter Umgang damit und seine Erfahrung heben ihn vom größten Teil der deutschen abstrakten Kunst der letzten dreißig Jahre ab. Diese Malerei neigt zu dramatischen Hell-Dunkel-Kontrasten, zu harten, scharf umrissenen Formen mit gotischer Linienführung, und Jensen steht dem fast diametral gegenüber. Doch ein originales Talent muss seinen Weg finden, auch wenn das bedeutet, dass es sich gegen den Trend bewegt.
Abstrakte Malerei will den Bezug zur wirklichen Welt, zur menschlichen Gestalt, zu Landschaft und literarischen Themen vermeiden. Das scheint die Themenauswahl einzugrenzen, doch abstrakte Kunst gleicht das durch eine kraftvoll direkte Herangehensweise und die Bearbeitung einer Vielfalt von Inhalten aus. Abstrakte Bilder zu malen, kann leicht sein, wie man am Beispiel derer sieht, die in Möbelgeschäften zur Dekoration hängen, oder aber schwierig, wie die von Jensen.
Es stimmt, dass es oft den Anschein hat, als wäre diese Art zu malen leicht, und Eltern, die sagen: „Mein Kind könnte das auch“, haben nicht ganz unrecht. Künstler der Moderne versuchen seit langem, die Frische und Spontaneität der Kunst von Kindern einzufangen, aber auch der Kunst anderer Kulturen, deren Vorstellungen von Technik sich von den im Westen verbreiteten unterscheiden. Kunst von Kindern wirkt auf den ersten Blick wunderbar frisch, doch bald darauf mutet sie seltsam matt an (es sei denn, die eigene Tochter, der eigene Sohn ist der Künstler). Aber ein gutes Bild von Jean Fautrier oder Hans Hoffmann bleibt frisch und neu, und woran das liegt, lässt sich kaum in Worte fassen. Man könnte sagen, es ist eine Mischung aus Erfahrung, der richtigen Entscheidung, Inspiration und mehr, doch muss man diese Eigenschaft persönlich erleben. Das aufmerksame Auge kann dies erkennen. Es kann zwischen den unruhigen Streifen eines Daniel Buren und den starren Streifen eines Kenneth Noland unterscheiden. Dass viele Menschen in der Kunstszene diese elementaren Unterschiede nicht erkennen können, zeigt beispielhaft, welche enormen Hindernisse einer angemessenen Würdigung der Kunst Jensens im Wege stehen.
Seine Bilder unterscheiden sich nicht grundlegend von denen der Generation von Pollock und Fautrier. Sie führen die Fortschritte dieser Generation weiter und bauen sie aus. Andererseits heben sie sich davon ab und beziehen neue Impulse aus der subtilen Verlagerung der Betonung statt aus einer umwälzenen Neuerung, wie die fortschrittliche Malerei der 50er Jahre sie erlebte. Neue Entwicklungen in der Maltechnik mit Acrylfarben, durch Beimischung von Pigmenten, Zusatzstoffen und Agenzien, versetzen Jensen in die Lage, die Farbe zu gießen, zu löffeln und zu verschmieren, und eröffnen ihm die ganze Variationsbreite, von durchscheinender Glasur zu dick aufgetragenem Impasto. Die Farbe kann sogar auf der Bildoberfläche selbst gemischt werden, da sie schnell trocknet, können Flächen schnell übermalt und verändert werden. Obwohl Ölfarben für traditionelle Malerei bestens geeignet sind, haben sie die Möglichkeiten der ersten Generation abstrakter Künstler eher eingeschränkt.
Damals wie heute ist der Pinsel das Werkzeug, mit dem man die Farbe aufträgt und die Wirkung auf der Bildoberfläche erzeugt. Die Pinselführung ist gleichsam die Handschrift des Künstlers. Jensen benutzt verschiedene Geräte, jedoch nur selten einen Pinsel. Wie andere moderne Künstler auch, hat er sich Pollocks bemerkenswerte Neuerung zu eigen gemacht, die darin bestand, mittels eines Stocks oder ähnlicher Geräte Sprühregen von Farbe auf die Leinwand zu werfen. Die Art und Weise, wie Pollock Farbe auf die Oberfläche fließen ließ, verlieh seinen Bildern ihre expressive Wirkung. Jensen hingegen verarbeitet die Farbe auf der Leinwand, als wäre es der Zuckerguss auf einem Kuchen; er lässt die dickflüssige Acrylfarbe auf die Oberfläche tropfen und verteilt sie hierhin und dorthin, ohne jedoch die Leinwand reibend zu berühren. Aus Jensens Behandlung des Materials können wir auf sein Wesen schließen, es ist vertraulich und sanft, seine Leinwaände werden gestreichelt und liebkost, seine Kunst hat eine erotische Komponente.
Technik und Methode sind lediglich Mittel zu einem Zweck, und der ´Zweck´ von Jensens Kunst ist eine Gesamtheit und Angemessenheit der Form, die durch die Verwendung von Farbe erreicht wird. Ein dominierender Farbton evoziert die Stimmung, so dass wir an das Bild in Magenta oder an das Bild in Orange denken, während uns doch deutlich bewusst ist, dass andere Farben mit der dominierenden spielen und interagieren.
Immer wieder gelingen ihm unerwartete Kombinationen und Fusionen von Farben, die in anderen Werken nicht wieder auftreten. Die Wirkung dieser Werke, ähnlich wie die einer Handvoll anderer abstrakter Künstler, kann in Reproduktionen nicht wirklich erfasst werden. Das Foto vor mir, auf das ich mich bei der Verfassung dieses Textes stütze, kann nicht mehr sein als ein Hilfsmittel, und ich frage mich, ob ich mich wirklich so engagieren würde, wenn ich nur die Reproduktionen dieser Arbeiten gesehen hätte. Fast scheint es so, als hätten diese neuen Künstler beschlossen, dass ihre Arbeiten nur gewürdigt werden können, wenn man das Original vor Augen hat, als beharrten sie darauf, dass die fühlbare und taktile Qualität der Farbe von überragender Bedeutung sei.
Auch der Einfluß von Jazz bildet einen Bestandteil der Vielfältigkeit, die Jensens Kunst ausmacht. Die meisten seiner Bilder, wenn nicht sogar alle, sind beim Hören von Jazz-Musik entstanden (seine künstlerische Laufbahn begann er als Jazz-Trompeter), und es ist vor allem der Aspekt der Improvisation, der hier Ausdruck findet. Bei dem schöpferischen Prozess von abstrakter Kunst muss man irgend etwas tun, um einen Anfang zu finden. Der beste Beitrag der Surrealisten zur Moderne war ihr Interesse an automatischem Zeichnen oder dem Malen mit verbundenen Augen, und ein Künstler, der einen ausgebildeten Geschmack und große Erfahrung hat, kann sich von den Ergebnisse solcher Experimente überraschen lassen und sie für sich nutzen. Für Jensen kann ein spezielles Musikstück, das Zusammenspiel verschiedener Instrumente oder eine Solo-Passage der Auslöser sein, der dem Gemälde zu seinem Eigenleben verhilft. Der Improvisationsprozess – spontan, unmittelbar und voller Energie – ist das Mittel, durch das der Künstler die Lösung der Aufgabe findet, die er sich selbst gestellt hat, und ein in sich geeintes Gemälde ist das Resultat.
Mit der großartigen 4´er Bildgruppe ´Fila (griech., plural = Blätter), o.T.´, aus dem Jahr 2006, hat Jensen seine Kunst auf eine ganz neue Ebene verlagert. Wie die besten Konzepte ist auch dieses einfach. Für jedes Bild wird eine begrenzte Auswahl von Farben bereitgestellt, bevor der Malprozess beginnt. Jensen entscheidet im Voraus, welche Stimmung, welche Gefühle und Farben für jedes Bild gelten sollen. Erst kommt die Grundierung, das Weiß der Leinwand wird übermalt. Von den vorbereiteten Farben werden nun unterschiedliche Menge auf die Oberfläche geschmiert, so dass sie sich vermischen und ineinander verlaufen und die Rinnsale dünner und dicker Farben eine dichte und ausdrucksstarke Zeichnung ergeben. Darüber, geleitet von dem, was schon entstanden ist, gießt Jensen mit einer Schöpfkelle weitere Farbe. Die bearbeitete Fläche ist nicht sehr groß, aber abgemessen, und hängt davon ab, wie weit sein Arm über die horizontal ausgelegte Leinwand reicht. Die Farben sind lebendig, der Künstler hat eine Möglichkeit gefunden, sie wirken zu lassen, und die Bilder sind leicht und luftig, wie ein frischer Windstoß. Zusammen mit einer kleinen Gruppe von Künstlern hält Jensen die Kunst der Malerei lebendig. Er sagt, allein die physische und greifbare Wirklichkeit all dessen, was vor unseren Augen liegt, sei von Bedeutung.“
David Evison, 2006